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21.04.2022
Menschen

Mit Tricks gegen Ticks

Eine ertaubte Fünfjährige lernt mithilfe eines Implantats sprechen. Eine Logopädie-Studentin zähmt ihre Stressstimme. Eine Moderatorin entdeckt ihr volles Volumen. Klient:innen berichten, wie Logopädie ihr Leben verbesserte und von Aha-Momenten.

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Lilli und Katja

Ertaubte Fünfjährige lernt sprechen.

Lilli und Katja

Meine lebhafte Zweijährige lachte viel, redete allerdings wenig. Und wenn ich Lilli ansprach, reagierte sie selten. Ich stutzte und suchte den Rat eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes. Sie sei temperamentvoll, hörte ich. Mehr nicht. Ich schlussfolgerte: Lillis Entwicklung war nur spät dran. Der Mediziner hatte allerdings auf einen Hörtest verzichtet. Erst ein Jahr darauf ergab ein solcher, wie hochgradig schwerhörig Lilli seit ihrer Geburt war. Als Fünfjährige ertaubte sie sogar völlig. Für mich als Mutter war das schlimm.

Implantat erleichtert Therapie

Aber Lilli war tapfer und unsere Logopädin toll. Sie therapierte mein Mädchen direkt in der Kita in ihrer gewohnten Umgebung. Zeitgleich bekam Lilli ein Cochlea-Implantat. Die Alternative zu einem Hörgerät stimuliert den Hörnerv, wodurch meine Tochter Geräusche wieder wahrnahm. Das half ihr bei der wöchentlichen Sprachtherapie. 

Mit der Einschulung wuchs allerdings der Anspruch an Lilli und an uns als Familie. Nur die Don-Bosco-Schule in Rostock stellte sich der Herausforderung. Vormittags unterstützten eine Schulbegleiterin und die Lehrer:innen die Erstklässlerin im Unterricht. Nachmittags wiederholten wir den Lernstoff zu Hause. Ihre drei Geschwister übten mit ihr. Weil Lilli so spät sprechen gelernt hatte, besaß sie den Wortschatz einer Vierjährigen. Als sie lesen konnte, hefteten wir Klebezettel an jeden Gegenstand in unserer Wohnung, damit sie ihre Bezeichnungen lernte.

Verstecktes Lippenlesen

Mittlerweile ist Lilli fünfzehn. Sie spricht normal. Kaum jemand bemerkt, dass sie von den Lippen liest. Manche Wörter fehlen ihr noch, das erschwert weiterhin den Schulunterricht. Sie liest allerdings viel und folgt einem individuellen Förderplan. Das funktioniert sogar an einer Europaschule im Ausland. 

Damit so gut wie niemand ihr Implantat bemerkt, trägt sie ihre Haare offen. Nur zu Hause bändigt Lilli sie in einem Pferdeschwanz. Sie ist ein (nicht ganz) normales Mädchen. Und ich bin mächtig stolz.

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Nils

Er stottert, seit er sprechen kann.

Nils

Nils stottert, seit er sprechen kann. Er wiederholt Anfangslaute und Wörter. Oder formuliert sie zu gedehnt. Besonders die Buchstaben „R” und „S” kann er nur schwer unterscheidbar aussprechen. Als Vierjähriger besucht er zum ersten Mal eine Logopädie, gleich um die Ecke seines Elternhauses.  

Einmal pro Woche bekommt Nils Sprechtraining, später nur noch einmal im Monat. Spielerische Methoden helfen ihm. Er übt und übt. So muss er fremde Leute im Kaufhaus ansprechen. Umso mehr Nils sich zu konzentrieren lernt, desto flüssiger redet er.

Stottern austricksen

„Dank der Therapie habe ich meine Sprechprobleme heute nur noch sehr selten, wenn ich unkonzentriert bin oder zu schnell rede“, sagt der Student. Er ist überwiegend beschwerdefrei. Mit Tricks umgeht er sein Stottern, indem er langsam und bewusst atmet oder alternative Wörter nutzt.

Was Nils ohne logopädisches Training getan hätte? „Wahrscheinlich würde ich viel stärker stottern “, meint er. Nils hat das Sprechtraining geholfen. Er entwickelte einen starken Charakter und führt ein normales Leben.

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Ina
Mitte 40 | Moderation
Die Stimme der Moderatorin ermüdet.

Ina

Meine Stimme verrät nach jedem Event, wie ich mich fühle. Stumpf und schlapp. Sie ermüdet, weil ich mehr Druck in meine Moderations- als in meine Studiostimme lege. Als Radiomoderatorin tödlich. Meine Stimme ist mein Kapital und ich muss auf sie achten.

Darum ergründete ich in einer Logopädie die Auslöser. Eine untrainierte Stimme und verspannte Kiefermuskeln ermatteten meine Stimme. Letzteres verantwortete sogar meine Kopfschmerzen. Ich erzwang zu viel. Das spannte an – physisch und psychisch.

Workout stärkt Stimme

Die Lösung: Meine Muskeln lockern und entspannen. Dafür muss ich trainieren. Täglich. Meine Logopädin zeigte mir Übungen für meine Kiefer- und Atemmuskulatur. Dazu ein Workout für meine Stimme. Ich entdeckte mich und meinen Körper neu. 

Sprechen ist mehr als Wörter formen und Sätze bauen. Die Übungen optimieren meine Stimme. Ich weiß, was mein Körper braucht, um optimal zu moderieren. Und meine Stimme ermattet langsamer.

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Nicholas

Er wirbelt Wörter durcheinander.

Nicholas

Mein Sohn Nicholas wuchs zweisprachig auf. Beide Sprachen spricht er fließend. Allerdings schlichen sich im Deutschen Fehler ein: Nicholas wirbelte Artikel und Präpositionen durcheinander und stolperte über die Zischlaute “sch” und “ch”. “Milch” sprach er “Milsch”. Wir gingen erst davon aus, dass sich die Sprachschwierigkeiten verwachsen würden.

Die Probleme ploppten allerdings erst richtig in der Schule auf. Lesen- und Schreibenlernen basieren nun einmal auf einer möglichst korrekten Muttersprache. Nicholas fiel diese schwerer als anderen Kindern. Darum suchten wir den Rat einer Logopädin. Liebevoll und empathisch ging sie auf Nicholas ein. Sie übte spielerisch mit ihm.

Mittlerweile spricht er fast fehlerfrei. Das hätten wir alleine nur schwer in den Griff bekommen.

Kristina

Sie ringt mit ihrer Stressstimme.

Kristina

Ich möchte als Logopädin arbeiten. Bevor ich in mein Studium an der EU|FH startete, hospitierte ich deshalb in einer Praxis. Dort hörte ich jeden Tag Stimmstörungen. Das gehörte natürlich dazu, aber umso mehr ich registrierte, desto negativer empfand ich meine eigene Stimme. Sie war heiser und brüchig. Nach längerem Sprechen schmerzte mein Hals. Beunruhigend. Besonders weil ich für das Studium ein phoniatrisches Gutachten brauchte. Das war Voraussetzung.

Ich hegte einen Verdacht, den mein HNO-Arzt bestätigte: Meine Stimmlippen schlossen nicht richtig. 

In der Logopädie analysierten wir meine Stimmhygiene und probierten verschiedene Therapien. Wir arbeiteten mit meiner Singstimme, da ich früher im Chor gesungen hatte. Wo meine Stimmstörung herkam, konnten wir nie vollends identifizieren.

Aber es kristallisierte sich eine psychische Komponente heraus: Wenn ich mich während sogenannter „vertäubter” Übungen selbst nicht hören konnte, war meine Stimme deutlich besser. Je mehr ich meine Stimme klar klingen lassen wollte, desto mehr spannte ich die Muskulatur an. Das verursachte Schmerzen und verunsicherte mich weiter. Ein Teufelskreis.

Konnte ich so als Logopädin arbeiten?

In der Therapie lernte ich, dass die Stimme ein sich ständig regulierendes System ist. Sie hängt von den eigenen Befindlichkeiten ab, passt sich vielen Faktoren und Einflüssen an. Sobald ich unkritischer mit meiner eigenen Stimme umging, mir Freiraum für Fehler einräumte, desto weniger Beschwerden hatte ich. 

Mittlerweile liegen das phoniatrische Gutachten und die ersten drei Semester hinter mir. In stressigen Situationen schleicht sich noch immer die ein oder andere Heiserkeit ein, aber das ist okay. Auch einige meiner Kommiliton:innen haben mit ihren „Stressstimmen” zu kämpfen. Ich weiß, dass mein Kommunikationsverhalten und therapeutisches Handeln als Logopädin viel wichtiger sind als eine perfekte Stimme.

Für die Therapie bin ich noch immer dankbar – nicht nur, weil sie meine physischen Beschwerden linderte, sondern weil sie meine Denkweise nachhaltig veränderte.

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Jonathan

Er spricht und schluckt falsch.

Jonathan

Ich wurde bereits im Vorschulalter logopädisch behandelt. Mir fielen K-Laute schwer: Aus dem Wort „Kopf“ wurde beispielsweise „Topf“. Deshalb kam eine Logopädin zweimal wöchentlich in die Kita, therapierte mich und meine Freund:innen gleich mit. So sparten alle den Weg in die Praxis. Ich freute mich jedes Mal besonders auf ihren Therapiehund.

Ich war acht oder neun, als meine Kieferorthopädin einen Überbiss feststellte. Ich schluckte falsch. Dabei drückte meine Zunge jedes Mal gegen die oberen Frontzähne und verschob sie. In der Logopädie übte ich einen korrekten Schluckvorgang. Zunächst mit Joghurt, dann mit fester Nahrung und schließlich mit Getränken. Mittlerweile bin ich 14 Jahre alt und dank der Logopädie beschwerdefrei.

 

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