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16.12.2021
Leben

Plädoyer: Männer in die Kitas!

Mangelware Mann. Die traurige Realität in deutschen Kitas wurzelt tief in veralteten Rollenbildern. Warum Kinder dringend mehr männliche Erziehende benötigen – ein Plädoyer.

von Heinrich Woest

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Männer, kommt ran hier! Stellt euch nicht so an! Klima, Kultur, Gesellschaft – wir stehen vor großen Herausforderungen. Und wer die Welt wandeln will, kann in der Elementarpädagogik, also in Krippe, Kita und Hort, den Grundstein legen. Wo sonst können wir besser anfangen, als bei unseren Kindern?

Als Vater möchte ich, dass meine Kinder in größtmöglicher Vielfalt aufwachsen, verschiedene Perspektiven und Rollenverständnisse kennenlernen, reflektieren und hinterfragen. Als Pädagoge sehe ich, dass viele deutsche Kitas und Grundschulen dieses Angebot gar nicht machen können. Das liegt zum einen am Fachkräftemangel, aber auch an traditionellen gesellschaftlichen Strukturen.

„Du hast keinen Schniedel.” Sätze wie diesen bekommen weibliche Erziehende häufiger von Jungs zu hören. Er verbildlicht, woran es in deutschen Kindertagesstätten mangelt: an männlichen pädagogischen Fachkräften. Ihr Anteil hat sich seit dem Jahr 2009 zwar verdreifacht, lag 2021 allerdings immer noch bei rund 7,6 Prozent, wie das Statistische Bundesamt erhebt. Ein ähnliches Verhältnis zeigt sich auch an den EU|FH Standorten Rostock, Rheine und Köln: Im Jahr 2021 studieren hier 11 Männer und 97 Frauen Kindheitspädagogik.

1. Allein unter Frauen

Fakt ist: Frauen sind in deutschen Einrichtungen immer noch in der Mehrzahl. Eher ungewollt verkörpern sie damit eine traditionelle Geschlechterordnung: Die Frau zeichnet sich aus ihrer Mutterrolle heraus für die frühkindliche Erziehung zuständig. Der Mann aus seiner Vaterrolle heraus für die Ausbildung des Nachwuchses. In diesem Geschlechtermodell steht eine umsorgende Weiblichkeit einer versorgenden Männlichkeit gegenüber.

In Kitas zu arbeiten scheint weiterhin ein typischer Frauenberuf zu sein. Dieser ist behaftet mit Vorurteilen wie geringer sozialer Anerkennung und mittelmäßiger Bezahlung, die nur schwer auszuräumen sind. Männliche pädagogische Fachkräfte fühlen sich deshalb häufig „allein unter Frauen”. Diese Punkte fördern leider wiederum männliche Vorbehalte gegen den Beruf, besonders bei der eigenen Berufswahl.

Der soziale Sektor steht weniger für Attribute wie Geld, Karriere und Ansehen, obwohl diese durchaus vorhanden sind. Fachkräfte können Leitungspositionen oder wie ich eine Laufbahn an einer Fachhochschule einschlagen. Dabei steigt auch ihr Ansehen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch Frauen Kind und Karriere wuppen wollen. So legen immer mehr Eltern Wert auf weibliche und männliche pädagogische Fachkräfte in Kitas – Erziehung war und ist längst nicht nur Frauensache.

Ich schreibe dieses Plädoyer voller Überzeugung und kurz vor meiner Elternzeit. Auch ich möchte meinen Kindern Zeit schenken, ihnen meine Sicht zeigen und meine Werte vermitteln. Nicht mehr und nicht weniger, denn Erziehung ist auch Männersache.

2. Die Welt durch die Kinderaugen

Mit Kinderaugen betrachtet wachsen Mädchen und Jungen in Kitas in einer vorrangig weiblich geprägten Umgebung auf. In diesem Umfeld können zum Beispiel Jungen ihre körperliche und geistige Welt nur auf weibliche Erziehende projizieren.

„Du hast keinen Schniedel.” Mein Eingangssatz verbildlicht das Grundproblem: Die meisten Kitas können aufgrund fehlender männlicher Fachkräfte praktisch nur eine monogeschlechtliche Welt vermitteln, die der Diversität der großen Welt nicht entspricht. Das macht mich als Vater nachdenklich.

3. Die große Welt im Kleinen

Dabei ist es gerade für die frühkindliche Entwicklung notwendig, den Kindern einen differenzierten Kita-Alltag zu ermöglichen. Die Diversität der großen Welt schon im Kleinen erlebbar zu machen. Ihnen verschiedene Geschlechterbilder zu vermitteln, mindestens das weibliche und das männliche.

Schon Babys erleben Frauen und Männer unterschiedlich. Einige empfinden eine tiefe, männliche Stimme als beruhigender im Gegensatz zu einer hohen, weiblichen. Viele kleine Jungen hegen außerdem ein tiefes Vertrauensverhältnis zu ihrem Papa. Ihnen fällt es unter Umständen schwerer, sich in der weiblich geprägten Kita-Welt einzuleben und wohlzufühlen.

4. Der frische Wind der Diversität

Dabei ist die Welt außerhalb der Kitas längst in vielerlei Hinsicht  vielfältiger geworden. Und sie wird es weiter. Zum Glück! Seit das Elterngeld im Jahr 2007 eingeführt wurde, gehen immer mehr Väter in Elternzeit. Waren es 2008 noch 20 Prozent, stieg ihr Anteil 2014 schon auf mehr als 34 Prozent. Rund jeder Dritte von ihnen gibt laut Väterreport 2021 des Bundesfamilienministeriums an, möglichst viel Zeit mit seinem Kind verbringen zu wollen. So wie ich. 

Erziehung ist also immer häufiger Mama- und Papasache. Diese Beobachtungen lassen mich darauf schließen, dass unsere Gesellschaft insgesamt heterogener wird. Es gibt weniger DIE Frauenrolle oder DIE Männerrolle. Beide Geschlechter nähern sich weiter an. Nicht nur im Sprachgebrauch, auch in den Köpfen. Von einer Vervielfältigung des Familienmodells ganz zu schweigen.

Das freut mich für meine Kinder. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass sie in einer Gesellschaft aufwachsen, in der alle gleichwertig sind, alle die gleichen Chancen haben. Nicht nur Mädchen und Junge, Frau und Mann, sondern alle Geschlechter. Mama und Papa. Erzieherin und Erzieher. Kindheitspädagogin und Kindheitspädagoge.

5. Kinder brauchen weibliche und männliche Superheld:innen

Geschlechtsheterogene Teams in Kitas fördern diese Entwicklung bei Kindern. Die Kleinen brauchen alle Geschlechter, um von ihnen zu lernen. Vorbildern nachzueifern. Statements von Frauen und Männern zu durchdenken. Diverse Beziehungsmodelle zu erleben, um ein eigenes Verhältnis zu ihnen zu entwickeln.

Und ich gehe noch weiter: Im Idealfall federn männliche pädagogische Fachkräfte sogar eine fehlende männliche Bezugsperson innerhalb der Familie ab. Männliche Erziehende können Kindern alleinerziehender Mütter wichtige Impulse geben, Bindungsängsten und herausforderndem Verhalten bzw. Verhaltensauffälligkeiten entgegenwirken. 

Männliche Pädagogen erweitern das Spiele- und Beziehungsangebot in der Kita. Eine Studie einer Katholischen Hochschule macht deutlich: Männliche Fachkräfte trauen Kindern mehr körperliche Erfahrungen zu, toben und raufen häufiger als ihre Kolleginnen. Demzufolge nehmen sie sich besonders der wilden Mädchen und Jungen an, sind für Sport- und Bewegungsangebote zuständig. Hier können weibliche Erziehende von ihren männlichen Kollegen profitieren und ihre eigene Geschlechterrolle reflektieren lernen.  

Und mit der Berufswelt wandeln sich auch die Zugänge, über die junge Frauen und Männer in pädagogische Berufe gelangen. Über Schülerpraktika, ein soziales Jahr oder den Bundesfreiwilligendienst. Auch eine berufsnahe Familienbiografie begünstigt, dass sich junge Männer für eine pädagogische Laufbahn entscheiden. Und wessen Herz einmal für einen sozialen Beruf schlägt, der bleibt ihm meiner Erfahrung nach auch treu.

6. Männer, ran an die Arbeit!

Also, liebe Männer da draußen, die ihr die Welt verändern wollt: Wandel beginnt im Kleinen und bei unseren Kleinen. Füttert sie mit den richtigen Werten. Als Erziehende seid ihr an der richtigen Stelle – egal ob klassischer Erzieher, Kindheitspädagoge oder Lehrer.

In der frühkindlichen Erziehung und Bildung legt ihr den Grundstein für Gleichstellung, Diversität, Umweltbewusstsein und weitere Werte. Ihr formt heute die Erwachsenen von morgen – unsere Zukunft. Das ist auch vielen Eltern bewusst, die ihre Kinder zu aufgeklärten und selbstbestimmten Menschen erziehen wollen. Die Diversität unter den Erziehenden und ihren Lernangeboten steigert die gesellschaftliche Anerkennung des Berufsbildes. Männer sind hier deshalb unverzichtbar! Und darüber hinaus: Traditionelle Rollenvorstellungen und Geschlechterbilder aufzuweichen ist wichtig, damit Kinder ihr Leben nach Ihren Interessen und Stärken gestalten, statt nach längst überholten Bildern von Männlichkeit und Weiblichkeit. Um das zu erreichen und so die Welt zu verändern, muss es eben nicht nur sichtbare Vorbilder wie KFZ-Mechanikerinnen, Polizistinnen und Astronautinnen geben, sondern genauso auch Hausmänner, Erzieher – und natürlich Kindheitspädagogen!

Heinrich Woest hat von 2019-2023 im Studiengang Kindheitspädagogik an der EU|FH doziert. Als Heilerzieher und Sozialpädagoge entwickelte er den Studiengang stetig weiter.

Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern im Kita-Alter.

Bildnachweise:
© Adobe Stock / Lightfield Studios
© EU|FH Henrik Bartels

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