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19.10.2022
Aus der Praxis

Lars‘ Metamorphose mit dem Master

Als Physician Assistant (B.Sc.) übernahm Lars unterstützende medizinische Aufgaben. Dann setzte er einen Master drauf. Der Studiengang Interdisziplinäre Schmerztherapie (M.Sc.) katapultierte den 34-Jährigen auf Augenhöhe mit den ärztlichen Teams. Ein Porträt.

von Rüdiger Laube

EUFH Magazin Master Interdisziplinäre Schmerztherapie EUFH Magazin Master Interdisziplinäre Schmerztherapie

„Ich konnte Küche und Klinik”, erinnert sich Lars Kinzel an seine Berufswahl. Kochen lernte er bei seiner Mutter, Pflegen während eines Klinikpraktikums. „Hätte ich mich fürs Kochen entschieden, hätte mich meine Mutter – selbst Köchin – kurzerhand aus der Küche geprügelt.” Sie wollte ihn vor ungünstigen Arbeitszeiten und mäßiger Bezahlung schützen.

Aber von Anfang an: Nach dem Hauptschulabschluss absolvierte Lars auf Empfehlung seiner Lehrerin das Fachabitur für Gesundheits- und Sozialwesen. Dazu gehörte ein Praktikum im Krankenhaus. Dann entschied er: „Ich wollte Menschen helfen. Wie meine Schwester als Krankenpflegerin und mein Bruder als Rettungssanitäter und Trauma-Instructor.” Nach seiner Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger bildete sich Lars weiter zum Gesundheitssoziologen. Doch das reichte ihm nicht.

Am EU|FH Campus in Rheine studierte der Olsberger (NRW) Physician Assistance (PA) und schloss das Studium mit dem Bachelor of Science ab. Mit dieser Qualifikation übernahm er nun delegierbare ärztliche Aufgaben. Beispielsweise Mediziner:innen bei Diagnosen, Eingriffen und Notfallbehandlungen unterstützen.

„Ich kenne Lars seit zehn Jahren. Er war zunächst Pfleger auf meiner Station, dann Physician Assistant. Wir begleiteten sein Studium. Inzwischen möchte das ärztliche Team auf ihn als PA nicht mehr verzichten”, berichtet Dr. med. Heinrich Kerkhoff, Chefarzt der Abteilung für Innere Medizin und Geriatrie im Städtischen Krankenhaus Maria-Hilf in Brilon. Doch auch der Bachelor reichte Lars nicht. 

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Das Masterstudium

„Für PAs boten sich zu der Zeit* kaum Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Die meisten sind Ärzt:innen vorbehalten oder zielen auf die Pflege ab”, bedauert der Wissenshungrige. „Der Masterstudiengang Interdisziplinäre Schmerztherapie hingegen eröffnete mir als PA ein weites medizinisches Gebiet – Chirurgie, internistische Schmerzerkrankungen und Geriatrie.” Entschlossen schrieb sich Lars am EU|FH Campus in Köln ein.

Sämtliche Vorlesungen in den vier Semestern Regelstudienzeit fanden wegen der Pandemie online statt. Die weit voraus feststehenden Live-Online-Veranstaltungen verteilten sich auf Blöcke an Wochentagen und Wochenenden. Diese Struktur konnte der Studierende super mit seinem Arbeitsalltag verschmelzen.

Lars’ Arbeitgeber unterstützte auch das Masterstudium als Partnerunternehmen. „Das Krankenhaus Maria-Hilf akzeptierte meine Stundenreduzierung auf 75 %, gewährte mir Gleitzeit und stellte mich für Hausarbeiten zusätzlich frei”, erzählt der Absolvent. Zudem bezogen die Chefärzt:innen der internistischen und geriatrischen Abteilungen Lars als Schmerzberater in Behandlungen ein. So sammelte der angehende Master noch während des Studiums wertvolle Erfahrungen und entlastete gleichzeitig das medizinische Team. „Lars nimmt uns viel Arbeit ab. Etwa die Erfassung von Anamnesen kann bei Schmerzpatient:innen sehr umfangreich sein. Diese Zeit fehlt den Ärztinnen und Ärzten”, erklärt Dr. Kerkhoff.

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Der Berufsalltag

Als Physician Assistant war Lars eher internistisch orientiert. Das hat der Masterstudiengang geändert. „Ich habe die Schmerztherapie und die Geriatrie lieben gelernt”, gesteht der Sauerländer. „PAs werden oft in der Notaufnahme eingesetzt. Das ist ein komplett anderes Denken – alles ist schnell, kurz und akut. Schmerztherapeut:innen müssen dagegen sehr intensiv auf die Betroffenen eingehen.”

Überrascht hat Lars die Akzeptanz im ärztlichen Team. Viele von ihnen sind wenig erfahren mit Schmerzbehandlungen und dankbar für die fachliche und zeitliche Unterstützung. „Die Ärzt:innen in unserem Team arbeiten eng mit Lars zusammen. Seine Einschätzungen zu Patient:innen sind uns wichtig, denn sie steigern die Qualität der Therapie”, erläutert Dr. Kerkhoff. Diagnosen stellen oder Medikamente verordnen darf der Schmerztherapeut jedoch nicht. Diese Verantwortung tragen ausschließlich Mediziner:innen.

Nur vereinzelt spürt Lars Gegenwind in der Klinik. „Die meisten Ärzt:innen vertrauen blind dem Rat von Ernährungsberater:innen. Diesen Status müssen wir uns als Schmerztherapeut:innen bei einigen Mediziner:innen noch verdienen”, reflektiert der Masterabsolvent. „Das Berufsbild ist wohl noch zu neu.”

Gegenüber Patient:innen, die traditionell eine Ärztin oder einen Arzt für eine Schmerzberatung erwarten, punktet Lars mit Transparenz. Er erklärt ihnen die Qualifikation eines Physician Assistants und seine Spezialisierung auf die Schmerztherapie. Spätestens bei der ausführlichen Anamnese und dem tiefgehenden Gespräch fühlen sich die Erkrankten bei ihm in guten Händen.

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Die Perspektive

Lars hat seine Berufung gefunden. Neben der Therapie von Schmerzpatient:innen will er mit den Anästhesisten:innen seiner Klinik das Zusammenwirken von Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin, Schmerztherapie weiter stärken. Wen wunderts: Auch das reicht Lars noch nicht. 

Der 34-Jährige möchte sich im Fachbereich Psychotherapie fortbilden. „Chronische Schmerzen gehen oft einher mit Depressionen. Sie machen mürbe. Prekäre soziale oder familiäre Umstände können das Krankheitsbild ebenfalls beeinflussen.” Fachliche Überschneidungen sieht Lars auch zu Behandlungsmethoden von Heilpraktiker:innen. 

Andere Absolvent:innen des Studiengangs Interdisziplinäre Schmerztherapie arbeiten im Bereich Physio- oder Ergotherapie. Sie behandeln in privaten Praxen oder machen sich selbstständig. Lars möchte in der Klinik bleiben. Als Schmerzberater, Schmerztherapeut – der finale Terminus für das Berufsbild steht noch aus. Doch was sind schon Äußerlichkeiten – der Sinn seiner Arbeit reicht Lars: „Ich helfe Menschen.” 

*In vielen Ländern ist das Berufsbild PA mit einem Masterabschluss verbunden. Um international vergleichbar zu sein, bietet die EU|FH ab 2022 den Masterstudiengang Physician Assistance (M.Sc.) an.

Bildnachweise:
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