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21.10.2021
News

Wie Physician Assistants das Gesundheitswesen stärken

Das deutsche Gesundheitssystem leidet unter Fachkräftemangel. Während Ärzt:innen und Pflegekräfte in einer Flut aus Aufgaben versinken, geht die Zeit für Patient:innen oft unter. Ändern können das Physician Assistants. Wie Hendrik Bollen, der für die Notfallambulanz des Helios Klinikums Duisburg mittlerweile unverzichtbar ist. Mit einem Studienabschluss, aber ohne Zulassung als Ärzt:in, arbeitet er eng mit dem ärztlichen Team zusammen. Und nah an den Patient:innen. Als Physician Assistant übt Hendrik einen jungen Beruf aus, der selbst vielen Ärzt:innen in Deutschland noch unbekannt ist. Darum hat ihn das EU|FH-Magazin einen Tag lang in einer Duisburger Ambulanz begleitet.

von Jule Fuchs

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Blitze schießen ins Sichtfeld. Sein Herz rast. Er taumelt. Muss sich setzen. Sonntagnacht hält Unruhe Stefan M. (Name von der Red. geändert) wach. Montagmorgen schleppt er sich trotzdem „auf den Bau”. Doch die körperliche Anstrengung mutiert zur Mühsal. Er geht zu seinem Hausarzt, der schickt ihn sofort in die Notfallambulanz des Helios Klinikums Duisburg.

Hendrik Bollen betritt den Untersuchungsraum, in dem Stefan M. auf medizinische Hilfe wartet. Hendrik besitzt keine ärztliche Zulassung, arbeitet als Physician Assistant (PA) allerdings eng mit den Ärzt:innen des Klinikums zusammen. Übernimmt Aufgaben wie die Anamnese, also das Vorgespräch mit Patient:innen, und die Voruntersuchung. „Ich bin quasi der Erstkontakt”, sagt der Essener.

Stefan M. ist besorgt. Mit brüchiger Stimme beantwortet er Hendriks Fragen. Was er für Beschwerden habe? Seit wann? Warum er erst jetzt komme? Der PA hört zu. Beschwichtigt. Beruhigt. „Ist es mein Herz?”, fragt Stefan M. „Das werden weitere Untersuchungen zeigen”, antwortet Hendrik.

EUFH Magazin Physician Assistance Hendrik

1. Nah am Menschen

Als Physician Assistant hat Hendrik zwar kein sechsjähriges Medizinstudium in der Tasche, keine Approbation, übernimmt allerdings ärztliche Aufgaben. Immer nah an der Patientin oder dem Patienten, kennt die Befunde und ist stets ansprechbar für Pflegefachkräfte.

Hendrik: „Ich sammle und sortiere alle wichtigen Informationen für die Ärztin oder den Arzt vor. Entnehme Blut, werte den EKG-Bogen aus, führe Erstuntersuchungen durch, zum Beispiel mit dem Ultraschall, und protokolliere alles in der elektronischen Krankenakte. Ich stelle allerdings keine Diagnosen allein. Die volle Verantwortung für alles, was ich tue, liegt bei der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt.”

Dr. med. Darius Buchczyk erspart das viele Handgriffe. Der Chefarzt der Klinik für Notfallmedizin kann sich voll auf seine ureigenen Aufgaben konzentrieren. Physician Assistants übernehmen sogenannte „delegierbare Tätigkeiten”, führen beispielsweise kleinere Eingriffe durch und versorgen Menschen mit chronischen Krankheiten. Sie begleiten Visiten und wirken gemeinsam mit dem Ärzt:innenteam bei Diagnosen sowie Behandlungsplänen mit, unterstützen bei komplexen Untersuchungen wie Sonografien, assistieren bei Narkosen und Operationen.

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2. Medizinische Generalist:innen

Hendrik agiert wie ein verlängerter Arm der Notfallambulanz bis ins Krankenhaus. Als Kommunikator zwischen fachärztlichen Abteilungen. „Ich organisiere zum Beispiel Betten für Patient:innen, die in der Ambulanz eintreffen, vereinbare Röntgentermine und informiere den Pflegedienst. Ich optimiere Prozesse, organisiere regelmäßige Notfallübungen und kümmere mich um die Weiterbildung des Teams.”

„Damit gerade Stresssituationen reibungslos laufen, üben wir regelmäßig”, sagt Hendrik. Für unterhaltsame, im Ernstfall jedoch lebensrettende Abwechslung sorgt die medizinische Übungspuppe „Anne”, die schon mal neben der Toilette oder unter dem Krankenbett zusammenbricht. „Notfälle passieren überall und unerwartet”, so Hendrik. Rund 400 dieser schweren Fälle behandeln die Ärzt:innen pro Jahr in den zwei Schockräumen des Duisburger Helios Klinikums. Dort behält der Physician Assistant den Überblick, wenn die Schnelligkeit des medizinischen Teams über das Leben von Patient:innen entscheidet. Greifen Abläufe geschmeidig ineinander? Sind Medikamente und Instrumente griffbereit? Klappt die Kommunikation?

Von Beginn an können Physician Assistants unverzichtbare Rädchen im Apparat einer Praxis oder eines Krankenhauses sein. „Sie bilden eine Konstante im Klinikalltag. Das ist nicht nur nachhaltig für Verlässlichkeit und Abläufe, sondern ermöglicht ihnen, administrative Prozesse und Entwicklungen zu begleiten und voranzutreiben. Physician Assistants sind vergleichbar mit Assistenzärzt:innen im ersten und zweiten Jahr. Mit dem Studium erwerben sie einen akademischen Grad und sind damit in der Humanmedizin eine wichtige Ergänzung zu Ärzt:innen”, sagt Prof. Dr. med. habil. Tanja Meyer-Treschan von der EU|FH.

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3. Trendberuf Nummer 1 in den USA

Jenseits deutscher Grenzen sind Physician Assistants längst anerkannt, für die Gesundheitssysteme der Niederlande oder für Großbritannien schon unverzichtbar. In norwegischen und schwedischen Krankenhäusern leiten sie ganze Stationen. „In den USA wurde der Physician Assistant gar zum Trendberuf Nummer 1”, sagt Hendrik.

Die Situation in Deutschland ist noch eine völlig andere. Nur wenige der 1.900 Kliniken bundesweit beschäftigen bislang Physician Assistants. Deutsche Hochschulen bieten den Studiengang seit dem Jahr 2005 an, mittlerweile gibt es rund 800 ausgebildete Physician Assistants auf dem Markt.

4. Studierende mit medizinischem Vorwissen

Einer der größten und erfahrensten Studienanbieter ist die EU|FH. „Wir begleiteten die Evolution des Studiengangs in Deutschland von Anfang an mit”, erklärt Prof. Dr. med. habil. Tanja Meyer-Treschan.

Um die hohe Qualität zu sichern, benötigen interessierte Studienbewerber:innen an der EU|FH eine dreijährige anerkannte Ausbildung in einem Gesundheitsfach- oder Pflegeberuf. „Unsere Erstsemester starten mit medizinischem Vorwissen ins PA-Studium. Sie sind mit dem Gesundheitssystem, den Abläufen und der fachlichen Kommunikation mit Kolleg:innen vertraut”, erklärt die Professorin.

In sechs Semestern erweitern Studierende an den Standorten Berlin, Köln, Rheine und Rostock berufsintegrierend ihr medizinisches Know-how. Die Theorie ortsunabhängig in Online-Vorlesungen und im Selbststudium. Die Dozent:innen begleiten die Studierenden digital und vermitteln praktische Erfahrungen in den Skills Labs. Diese können die angehenden Physician Assistants in ihren Partnerunternehmen weiter vertiefen.

5. Kompetente Pionier:innen im ärztlichen Team

Vom Wintersemester 2022 an können Physician Assistants auf ihren Bachelor-Abschluss aufsatteln. Die EU|FH bietet als eine der ersten deutschen Hochschulen einen Masterstudiengang an. In vier Semestern intensivieren Studierende ihr Wissen für komplexe Fälle, erwerben fachübergreifende Kompetenzen und erlangen mehr Sicherheit.

Im Klinikalltag können sie sich so beispielsweise besser ins ärztliche Team integrieren. Und mit dem Masterabschluss sind sie auch international konkurrenzfähig.

6. Fazit

Eine alternde Gesellschaft sowie der zunehmende Mangel an Ärzt:innen und Pfleger:innen machen Druck auf die Gesundheitsbranche. Das System verändert sich durch zunehmende Technologisierung und Digitalisierung. Der in Deutschland noch recht junge Beruf Physician Assistant kann die Arbeitssituation des medizinischen Personals entlasten und dabei helfen, dass Patient:innen weiterhin optimal versorgt werden.

Stefan M., den Hendrik während der Untersuchungen begleitete, wurde von der Ambulanz ins Krankenhaus verlegt. Die Symptome deuteten auf Herzbeschwerden. In der Fachabteilung steht Stefan M. nun unter ständiger Beobachtung und wird ärztlich betreut – für eine gesunde Zukunft.

 

Bildnachweise:
© Jule Fuchs

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